Hintergrundwissen & Orientierung

Schusterjungen, Hurenkinder und typografische Kuriositäten
Die Welt der Typografie ist durchzogen von Regeln, Traditionen – und einem überraschend bildhaften Fachvokabular. Begriffe wie „Schusterjunge“ oder „Hurenkind“ lassen zunächst an ganz andere Themenbereiche denken, stammen aber tatsächlich aus der Satztechnik. Sie bezeichnen spezifische Fehler im Textumbruch, die die gestalterische Qualität eines Druckwerks oder digitalen Layouts beeinträchtigen können.
In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf diese klassischen typografischen Begriffe – und auf weitere Fachausdrücke, die verdeutlichen, dass typografische Gestaltung weit mehr ist als nur das Auswählen einer Schriftart.
Was sind Schusterjungen und Hurenkinder?
Bei der Textgestaltung auf mehreren Seiten oder in mehrspaltigen Layouts können beim Umbruch bestimmte Fehler entstehen, die das Schriftbild stören. Zwei davon gehören zu den bekanntesten typografischen Problemen:
- Schusterjunge (auch: Witwe):
Eine einzelne Zeile am Anfang eines Absatzes, die am unteren Ende einer Seite oder Spalte steht, während der restliche Absatz auf der nächsten Seite beginnt. Diese Platzierung unterbricht die inhaltliche und visuelle Verbindung zwischen den Abschnitten und stört damit den Lesefluss. - Hurenkind (auch: Waisenkind oder Waisenzeile):
Eine einzelne Zeile am Ende eines Absatzes, die allein am oberen Rand einer neuen Seite oder Spalte steht. Der inhaltliche Zusammenhang zum vorangegangenen Text ist dabei nicht mehr unmittelbar ersichtlich, was sowohl optisch als auch funktional problematisch ist.
Sowohl Schusterjungen als auch Hurenkinder gelten im professionellen Satz als vermeidbare Umbruchfehler. Sie beeinträchtigen die visuelle Kontinuität und stören das harmonische Erscheinungsbild eines Layouts. Satzprogramme wie Adobe InDesign bieten entsprechende Funktionen, um solche Fehler automatisch zu korrigieren oder manuell zu umgehen.
Weitere typografische Begriffe und Besonderheiten
Neben diesen beiden bekannten Begriffen existieren zahlreiche weitere Fachausdrücke in der Typografie, die teils technische, teils gestalterische Aspekte beschreiben:
- Zwiebelfisch:
Ein einzelnes Zeichen oder ein Buchstabe, der versehentlich in einer anderen Schriftart oder Schriftschnitt erscheint. Meist entstehen Zwiebelfische durch Copy-and-Paste-Prozesse oder Formatierungsfehler und fallen vor allem im professionellen Satz störend auf. - Laufweite (Tracking) & Unterschneidung (Kerning):
Diese beiden Begriffe betreffen den Abstand zwischen Buchstaben. Die Laufweite bezieht sich auf die gleichmäßige Verteilung des Abstands über einen ganzen Textabschnitt, während Kerning die gezielte Anpassung des Zwischenraums zwischen einzelnen Buchstabenpaaren beschreibt. Richtig angewendet verbessern sie die Lesbarkeit und die ästhetische Wirkung des Textes. - Geviert, Halbgeviert und typografische Leerzeichen:
Leerzeichen sind keineswegs gleich – sie unterscheiden sich in ihrer Breite und Funktion. Besonders im Buchsatz spielt das bewusste Setzen von Geviert- und Halbgeviert-Leerzeichen eine wichtige Rolle, etwa bei Gedankenstrichen oder beim optisch harmonischen Trennen von Satzteilen. - Ligaturen:
Ligaturen sind Buchstabenkombinationen wie „fi“ oder „fl“, die zu einem einzigen Zeichen zusammengefasst werden. Sie verbessern den Lesefluss und dienen der typografischen Feinabstimmung, insbesondere in Serifenschriften. - Versal- und Mediävalziffern:
Versalziffern stehen einheitlich auf der Grundlinie und wirken formeller, etwa in Tabellen oder Überschriften. Mediävalziffern hingegen variieren in ihrer Höhe und fügen sich besser in Fließtexte ein, da sie sich optisch harmonischer zwischen Kleinbuchstaben einfügen.
Typografie ist mehr als Gestaltung
Typografie ist ein Zusammenspiel aus Technik, Gestaltung und Leserführung. Sie entscheidet maßgeblich über die Wirkung eines Textes – oft ohne dass Leser:innen sich dessen bewusst sind. Gute Typografie sorgt dafür, dass Inhalte strukturiert, leserfreundlich und professionell wirken. Dabei geht es nicht nur um die Auswahl einer schönen Schrift, sondern auch um Details wie Zeilenabstände, Zeichenbreiten und Umbruchverhalten.
Präzision in jedem Zeichen
Ob es sich um einen Schusterjungen handelt oder um einen kaum sichtbaren Ligaturenfehler: In der Typografie zählt jedes Detail. Wer diese Feinheiten beherrscht, kann Texte nicht nur korrekt, sondern auch überzeugend gestalten. Und auch wenn manche Begriffe ungewöhnlich klingen – sie stehen für ein hohes Maß an Präzision und typografischem Bewusstsein.
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